Der Schlangenbach…

…als Teil der ersten großen „Fernwasserversorgungsanlage“ zu Zeiten der Reichsstadt und der Stiftsstadt Kempten.

Schlangenbach

Die skizzenhafte Darstellung zeigt den Verlauf des Bach- und Kanalsystems vom EschacherWeiher bis zum Eggener Berg.

Dieses für die damalige Zeit erstaunliche System der Verknüpfung von künstlichen und natürlichen Wasserläufen samt der Anlage von Stauseen und Wehren diente neben der Versorgung von Mühlen und Triebwerken auch der Löschwasserversorgung und teilweise auch der Trinkwasserversorgung. Die Kanäle im Bereich der Residenz dienten auch zur Abwasserbeseitigung.

Dabei wurden an zwei Stellen auch der natürliche Wasserlauf zum Bodensee (Rhein) durch künstliche Kanalbaumaßnahmen und Wehre zur Stadt umgeleitet und somit zur Iller (Donau) geführt. Unter Berücksichtigung der damaligen technischen Hilfsmittel erscheinen diese Baumaßnahmen in einem ganz besonderen Licht und zeugen von einer hohen ingenieurmäßigen Leistung, die uns heute großen Respekt abverlangt.

Die Geschichte dieser „Fernwasserversorgung“ liest sich wie folgt:

12. Jahrhundert
Nach nicht exakten Unterlagen soll bereits zu dieser Zeit der Wiesbach durch einen Stollen in die Stadt geleitet worden sein. Es heißt aber auch, daß dieser Kanal und Stollen wieder unbrauchbar geworden sei.

1456
erfolgten neue Überlegungen, den Wildmoosbach in die Stadt zu leiten und einen künstlichen Stauweiher anzulegen. Dazu mußte ein neuer Stollen bei Eggen durch den dortigen Höhenrücken und eine Wehranlage am Beginn des Göhlenbaches zur Regulierung der Wasserführung gebaut werden.

1493
war es soweit, dass durch diesen 300 m langen Stollen und den vorgeschalteten 250 m langen, künstlichen Bachlauf erstmals Wasser zur Reichstadt floss und die dortigen Kanäle speiste.

1494
wurde der Wildmoosbach im Bereich Steufzgen  angestaut und somit der heutige Stadtweiher künstlich geschaffen. Dadurch konnte eine Regulierung der Wasserzufuhr zur Reichsstadt – vor allem bei Trockenperioden – erfolgen.
Die Genehmigung zur Anlage des Stadtweihers erfolgte durch Kaiser Friedrich III (Urkunde von 1484).

1566 und 1571
versuchte der damalige Fürstabt, den Stadtrat dafür zu gewinnen, die Rottach überzuleiten, um das Wasserdargebot zu vergrößern. Der Stadtrat lehnte dies jedoch ab.
Um 1623 wurde auf dem Feilberg durch das Stift ein Stauweiher angelegt.

1626
wurde die vom Stift beantragte Vergrößerung dieses Stauweihers vom Stadtrat abgelehnt.

1677
war es dann unter Fürstabt Bernhard von Baden so weit, dass die Rottach als zusätzliche Wasserquelle übergeleitet werden konnte. Dazu entstand das Hehlenwehr und eine 750 m lange, künstliche Kanalstrecke mit Einleitung in den vom Stadtweiher kommenden Bachlauf. Davon verliefen 450 m unterirdisch durch einen bis zu 12 m tiefliegenden Stollen unter dem Höhenrücken im Bereich der heutigen Leutkircher Straße.
1693
Errichtung des heutigen Eschacher Weihers als künstlichen Stauweiher unter Fürstabt Rupert von Bodman. Das Wasser des ursprünglich dort vorhandenen Baches floss zur Wengener Argen und somit zum Bodensee (Rhein).
Die Überleitung in Richtung Stadt umfasst im einzelnen folgende Streckenabschnitte:

  • Künstliche Verrohrung vom Eschacher Weiher über den   Steckenriedtobel bis ins Gebiet Hahnenmoos.
  • Natürlicher, offener Bachlauf
  • Hahnenmoos bis Pflaumenmühle durch die moorigen Gebiete von Ein­öde und Eschachried.
  • Künstlicher, offener Wasserlauf
  • Pflaumenmühle nach Wegscheidel und am Fuße des Blenders nach Masers (der natürliche Ablauf von der Pflaumenmühle wäre über die Kürnach zur Argen gegangen).
  • Natürlicher, offener Bachlauf = Kollerbach von Masers bis nahe der Straße Ermengerst – Wiggensbach.
  • Künstlicher, offener Wasserlauf
  • mit Wehranlage an Kollerbach bis Ermengerst.
  • Natürlicher, offener Bachlauf
  • Ermengerst bis heutiger Herrenwieser Weiher.
  • Natürlicher, offener Bachlauf = kleine und große Rottach bis bis Hehlenwehr.

Seit 1693
existierte somit ein vom Eschacher Weiher bis zum Eggener Berg komplettes Bach- und Kanalsystem mit einer Gesamtlänge von 14,5 km. Der Anteil der künstlichen Streckenabschnitte betrug ca. ein Drittel der Gesamtlänge. Seit dem 16. Jahrhundert gab es immer wieder Streitigkeiten zwischen der Reichsstadt und dem Stift über die Wasseraufteilung und Wassernutzung. Für die Reichsstadt war dabei von besonderem Nachteil, dass ihre Kanalanlage bis zum Kloster auf stiftischem Gebiet lag.

1735
erfolgte nach jahrelangen Verhandlungen ein Vergleich, wonach die Stadt 4/9 und der Stift 5/9 der Wassermenge erhalten sollte.

1769
wurde der Herrenwieser Weiher, der dritte, künstlich angelegte Stauweiher, erstmals urkundlich erwähnt. Interessant war auch die sogenannte „Wiedervergeltungsdohle“, eine Einrichtung, die aus dem neustädtischen Bach zurückführte, als aus dem altstädtischen Bach vom Residenzplatz weg in die Residenz floss.

1802/1803
kam das Kanalsystem ans kurfürstliche Bayern.

1844
letzten Endes an die Stadt Kempten.
Innerhalb des heutigen Stadtgebietes teilte sich der Schlangenbach in mehrere Äste auf:

  • Nach der Unterquerung des Eggener Berges (Stollen) war das erste Triebwerk bei der heutigen Firma Wankmiller, die ihr Wasserrecht noch ausübt.
  • Der Bach folgte dann der heutigen Feilbergstraße zur Calgeeranlage, wo das dort stehende Wasserrad an den Betrieb Eiband erinnert.
  • Über Obere und Untere Hofmühle floss der Bach zum Mühlweg, wo beim Anwesen Mühlweg 15 die erste Teilung erfolgte.
  • Der neustädtische Teil floss in nördlicher Richtung mittig zwischen Weiherstraße und Lorenzstraße zur ehemaligen Brachsäge und dann nach Osten, nördlich der Häuserreihe am Stiftskellerweg durch das Gelände des heutigen Krankenhauses an der Memminger Straße, die Rottachstraße kreuzend in den Bereich des städtischen Friedhofes, um kurz vor der Einmündung der Rottach in die Iller zu fließen.
  • Auf Höhe der Herbststraße zweigte ein Nebenarm ab, der über die ­Wartenseestraße zum Kirchberg führte. Ein weiterer Nebenarm zweigte auf Höhe der Sängerstraße ab, der unter der heutigen Sing- und Musikschule hindurch floss und über den unteren Hofgarten zur Iller führte. Längs der Herrenstraße gab es eine Querverbindung von dem zweiten Nebenarm in nördlicher Richtung zu dem neustädtischen Hauptbachlauf.
  • Der altstädtische Teil floss in östlicher Richtung unter dem Kanalweg (südlich des Kösel-Verlages) und unter der Salzstraße zum Hildegardplatz und Residenzplatz.

Am östlichen Ende des Residenzplatzes erfolgte nochmals eine Aufteilung:

  • Ein Bachlauf führte durch den ehemaligen Schlachthof (heute Galeria Kaufhof) und über den ehemaligen Stadtgraben (Pfeilergraben) im Bereich des Fußgängersteges zur Iller.
  • Der Hauptarm durchfloss die gesamte Gerberstraße und mündete dort direkt in die Iller.
  • Der südliche Bachlauf zweigte in der Gerberstraße ab und führte über die Brandstatt, die Rathausstraße querend, in den Bereich des heutigen Parkhauses am Rathaus und über die alte Burgstraße (Straße An der Stadtmauer) ebenfalls zur Iller.
  • Längs der gesamten Strecke lagen über 30 Betriebe, die angefangen mit der Pflaumenmühle auf dem Gemeindegebiet von Buchenberg und in der Reichsstadt und Stiftsstadt das Wasser nutzten.

Heutiger Zustand

Von den beschriebenen, umfangreichen Anlagen ist leider nur wenig erhalten geblieben. Wir müssen uns alle – die wir in den vergangenen 30 Jahren für Planungen und Entscheidungen zuständig waren – an die eigene Brust klopfen, dass wir dieses Werk, das vor über 500 Jahren entstanden ist, nicht rechtzeitig und richtig erkannt und eingeschätzt haben. Ein Stück aus der Kemptener Ge­schichte ist somit verloren gegangen. Nach wie vor fließt Wasser vom Wildmoosbach über den Stadtweiher durch den Bach längs des Stadtbades und durch den Stollen unter dem Egger Berg zum heutigen Kupferwerk Wankmiller. Von dort bis auf Höhe Feilbergstraße/Reichlinstraße verläuft der Schlangenbach noch auf historischer Trasse, wenn auch zwischenzeitlich verrohrt. Dann aber verschwindet das Bachwasser in einem Regenwasserkanal unter dem Adenauerring und fließt letztlich nahe der Johannisbrücke in die Rottach. Zwischen dem Mühlweg und der Residenz/Horten ist noch ein ca. 500 m langes, altes Gerinne aus Bruchsteinen erhalten, das im Bereich der Tiefgarage des Neubaus der Firma Dambeck beschädigt ist. Im Bereich Hildegardplatz und Residenzplatz dient dieses alte Gerinne heute der Platzentwässerung.

„Auferstehung“ des Schlangenbaches

Im Zusammenhang mit der Umgestaltung des Hildegardplatzes und des Residenzplatzes besteht die einmalige Chance, den Schlangenbach wieder auferstehen und damit einen Teil der Geschichte der Reichsstadt und des Stiftes Kempten auf historischer Trasse für die Nachwelt lebendig werden zu lassen.
Um Originalwasser des ehemaligen Schlangenbaches hierzu zu verwenden, muss allerdings ein neues System von Kanälen und offenen Bachläufen geschaffen werden.

  • Ausgangspunkt wäre hierfür der alte Schlangenbach im Bereich der Firma Schaller in der Feilbergstraße.
  • In der Feilbergstraße und bei den Kreuzungen mit dem Adenauerring müsste eine Verrohrung gewählt werden.
  • Im Bereich der Calgeer-Anlage und längs der Poststraße könnte ein offenes Gerinne neu geschaffen werden.
  • Dabei wäre es möglich in der Calgeer-Anlage auch wieder das alte Wasserrad des ehemaligen Betriebes „Eiband“ zu aktivieren.
  • Im Mühlweg müsste wieder verrohrt werden.
  • Das vorgenannte alte Bruchsteingerinne vom Mühlweg unter dem Kanalweg bis zum Hildegardplatz kann hierbei mit ca. 250 m Länge mit verwendet und mit einem Inliner versehen werden.
  • Die Kosten für diese Neubaumaßnahme lägen bei ca. 450.000 bis 500.000,00 DM.
  • Es wären aber auch noch einige kostengünstigere Varianten möglich. Beziehungsweise ein abschnittsweises Vorgehen und zunächst nur die Schaffung einer provisorischen „Wasserversorgung“ im Bereich des Residenzplatzes.

Von Bruno Steinmetz, Baudirektor a.D., ehem. Leiter des Tiefbauamtes

  1. #1 von Christine Dreier unter 18. Oktober 2011

    Sehr interessantes Projekt. Ich lebe seit vielen Jahren in den USA und erinnere mich an den offengelegten Schlangenbach. Die Wiederbelebung des Schlangenbaches ist eine Gelegenheit die Geschichte der Stadt lebendig zu machen.

     
(wird nicht veröffentlicht)
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